Disclaimer: Diese Geschichte ist eine fanfiction-Story. Die verwendeten Charaktere gehören Marvel und wurden nur ausgeliehen. Der einzige Profit, der mit der Geschichte erzielt wird, ist die Unterhaltung der Leser.

 

Anmerkungen: Die Geschichte enthält die Beschreibungen von medizinischen Experimenten und ist als eine Charakterstudie anzusehen. Sie beschreibt den schmalen Grat zwischen gut und böse, zwischen dem ethisch vertretbaren und verwerflichen der Forschung und dass die  Einteilung in gut und böse lediglich eine Frage der Betrachtungsweise darstellen kann.

 

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Ein Hauch von Bösem

 

by Belladonna

 

 

Das Böse ist einfach

und hat unendlich viele Gestalten

Pascal.

 

 

 

Das Labor war dunkel, das einzige Licht, welches den Raum in ein diffuses Zwielicht tauchte, stammte von den blinkenden Apparaturen, die in einer der Ecken des Kellerraumes standen. Das Labor war karg und zugleich jedoch modernst ausgestattet, mit allem, was man als Wissenschaftler benötigte. Hochmoderne Laser- und Diagnoseinstrumente lagen neben herkömmlichen Skalpellen und Knochensägen. An der Wand war ein Waschbecken, an dem sich ein Chirurg  vor einer Operation die Hände waschen konnte. In einer der Ecken befanden sich die Computerterminals, in denen das gesamte Wissen des Forschers gespeichert war, all seine Ergebnisse, die Theorien, sein Lebenswerk. Und er lebte bereits lange. Neben den Terminals war ein Schreibpult aufgestellt, unzählige Dokumente und Computerausdrucke lagen verstreut auf der glatten Oberfläche, Stifte und Datenblöcke geordnet am Rand. An der anderen Wand standen mehrere Glaszylinder in denen Forschungsobjekte aufbewahrt wurden. Sie waren etwa 2 m hoch und hatten einen Durchmesser von etwas über einem Meter, das Glas war dick und unzerstörbar, leicht milchig. Die Zylinder wirkten wie hochgestellte Glassärge, etwas, zu dem sie durchaus werden konnten. Zur Zeit waren drei von ihnen leer, die anderen beiden beherbergten neue Forschungsobjekte. Es waren ein Mann und eine Frau, beide waren schon seit einiger Zeit Gäste des Wissenschaftlers, wobei sie länger hinter der Glaswand gefangen war. Beide hatten bald erkannt, dass es sinnlos war, entkommen zu wollen, keiner von ihnen trug noch Kleidung, was auch deutlich zu ihrer Demoralisierung beigetragen hatte. Zusätzlich hielt es sie davon ab, fliehen zu wollen, denn das menschliche Schamempfinden würde es ihnen schwer machen, nackt durch die Straßen zu laufen, egal ob sie von hier um jeden Preis verschwinden wollten oder nicht. Das einzige Kleidungsstück, dass sie noch trugen, war ein Inhibitor-Halsband, welches ihre Kräfte unter Kontrolle hielt. Die Energiequellen blinkten synchron und gaben den Glaszylindern ein unwirkliches rötliches Leuchten. Beide hatten schon seit Tagen nichts mehr von ihrem Peiniger gesehen, er war zu beschäftigt gewesen mit einem neuen Experiment, welches seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Außerdem hatten sie schon seit längern nichts mehr gegessen. Die Glaszellen waren breit genug um sich zu setzen, doch es reichte nicht aus, um sich strecken zu können.

 

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Mit angewinkelten Beinen saß die Frau in ihrer Zelle, ihre Arme hatte sie um die Beine geschlungen, den Kopf auf die Knie gelegt. Ihre langen roten Haare waren zerzaust und ungewaschen, der Blick ihrer grünen Augen leer. Sie hatte seit Tagen keine Nahrung mehr zu sich genommen, doch sie verspürte keinen Hunger. Das nagende leere Gefühl in ihrem Bauch war zu einem Teil von ihr geworden, es war das einzige, das ihr sagte noch am Leben zu sein  ebenso wie die Leere in ihrem Verstand, seit ihre mentale Verbindung zu dem Mann, den sie liebte abgerissen war. Ihr Widerstand war kurz nach ihrer Ankunft hier gebrochen, sie hatte sich nie zuvor so leer gefühlt, in ihrem Selbst war stets das Hintergrundrauschen der Gedanken anderer gewesen und die Gedanken ihres Mannes, sie war nie ohne dieses Gefühl gewesen und der Verlust ihrer Kräfte hatte sie schwer mitgenommen. Sie hatte eingesehen, dass es von hier keinen Ausweg gab und sie war sich sicher, dass sie hier in diesem Labor sterben würde.

 

Ihr Körper war von blassen und rötlicheren Strichen übersät. Diese Narben waren stumme Zeugen dessen, was sie während ihrer Zeit im Labor des Wissenschaftlers erdulden musste. Sie war dünn, ihre Rippen und Beckenknochen stachen spitz aus der blassen Haut hervor, die sich über ihrem Skelett spannte, die Augen lagen in tiefen Höhlen verborgen. Ihre einst so lebendigen lachenden Augen wirkten nun tot, etwas, was sie sich herbeisehnte. Sie würde alles dafür tun, ihr Leiden hier zu beenden, doch er ließ sie nicht. Die querverlaufenden Narben an ihren Handgelenken zeugten von zahlreichen Selbstmordversuchen, die sie mit dem Besteck oder zerbrochenen Tellern verübt hatte. Sie hatte sogar versucht, sich zu Tode zu hungern, doch das ließ er nicht zu. Sie hatte sich nie zuvor den Tod gewünscht, hier jedoch wusste sie, dass dies ihre einzige, letzte Fluchtmöglichkeit war. Nie hätte sie zuvor gedacht, sterben zu wollen, aber der Verlust ihrer Freiheit, ihres Willens und ihres Selbst hatten etwas geschafft, was zahlreiche Kämpfe und Schicksalsschläge in ihrem Leben nie vermochten.

 

Am unteren Rand des Glaszylinders gab es eine kleine Öffnung, groß genug um das Essen hereinzubringen, aber zu klein um entkommen zu können. Es wäre sinnlos es versuchen zu wollen, die Schultern würden nicht durch diese Zugangsmöglichkeit passen. Ihr Essen kam seit den zahlreichen Versuchen ihr Leben beenden zu wollen auf einem unzerbrechlichen Teller, Besteck erhielt sie schon lange nicht mehr. Ihr Vorrat an Tränen war schon vor langer Zeit versiegt, ihre Gefühle erkaltet. Sie fühlte überhaupt nichts mehr, keine Schmerzen, kein Hass oder Zorn, sogar keine Furcht mehr. Ihre Seele war bereits tot und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihr Körper folgen würde.

 

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Der Mann stand in seiner Zelle und kniff die Augen zusammen. Er versuchte seine Umgebung ausmachen zu können, doch alles was er sah, war diffuses Licht, verzerrt durch den Glaskäfig. Er war noch nicht so lange hier, dennoch hatte er sein Zeitgefühl bereits verloren. Er suchte noch immer verzweifelt nach einem Weg nach draußen, wollte nicht wahrhaben, dass es kein Entkommen gab. Selbst wenn er es schaffen sollte der Zelle zu entfliehen, so wusste er noch immer nicht, wo er war. Das Labor befand sich in einem Keller, dem Keller eines Hauses das abgelegen von allen anderen stand. Niemand hörte so die Schreie, die so oft aus dem Labor drangen, niemand würde den Gefangenen im Labor zu Hilfe kommen und niemand würde je erfahren, dass es sie hier unten gab. Er wollte dennoch nicht wahrhaben, dass er von hier, wo immer dieses hier auch war, nicht entkommen konnte. Er hatte zuvor schon aussichtslose Situationen gemeistert und sollte auch diese überstehen. Doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr schwand auch seine Hoffnung, ein Funke jedoch blieb.

 

Zu anfangs hatte er noch geschrieen, sich gewehrt, er hatte versucht die Glasscheibe, die nun sein Zuhause war, zu zerschlagen, doch er blieb erfolglos. Als er erkannt hatte, dass er nicht allein war, hatte er versucht mit seinem Leidensgenossen Kontakt aufzunehmen, aber es war, als sehe ihn der andere nicht, hörte ihn nicht. Es war so, als nehme ihn der andere nicht zur Kenntnis, niemals antwortete er ihm. Nichtsdestotrotz versuchte er es immer wieder, nur um erneut ignoriert zu werden. Seine Lippen waren zersprungen und seine Zunge fühlte sich pelzig an. Der Hals war trocken und in seinem Magen breitete sich eine tiefe Leere aus, das Nagen des Hungers begann ihn langsam in den Wahnsinn zu treiben. Die Halluzinationen aufgrund des Mangels and Nahrung und Wasser forderte ihren Preis, seine Gedanken schwirrten und er sah Dinge, die nicht da waren. Als er die Hände ausstreckte, um nach ihnen zu greifen, seien es Nahrungsmittel oder geliebte Menschen, so brachte ihn die kalte Wand der Zelle wieder in die harsche Realität seines Gefängnisses zurück. Er stand in einer Zelle, war bis auf das Inhibitor-Halsband praktisch nackt und ohne seine Kräfte, die von dem blinkenden Halsband unterdrückt wurden fühlte er sich auch so. Er hatte seine Kräfte stets als einen Teil von sich betrachtet, auch wenn er sich erst an die damit verbundenen Einschränkungen für sein Leben gewöhnen musste und nun war es, als sei ein Teil von ihm herausgeschnitten worden. Er fühlte sich so hilflos, seine Kräfte könnten ihn mit Leichtigkeit aus diesem Kellergefängnis befreien, doch ohne sie wusste er noch nicht einmal wie er aus dem Glaszylinder entkommen konnte, der seine komplette Welt bestimmte. Frustriert fuhr er sich durch die hellbraunen zerzausten Haare, sie waren ungekämmt, doch das begann ihm nichts mehr auszumachen. Er spürte, wie sein Wille zu überleben und die Kraft dies zu tun schwand, doch er klammerte sich an diesen letzten Strohhalm, der ihn nicht verrückt werden ließ. Jemand würde ihn vermissen, seine Freunde würden ihn vermissen und sie würden nach ihm suchen. Er musste nur so lange durchhalten und einen Weg finden, ihnen mitzuteilen, wo er war. Doch je länger es dauerte, diese Möglichkeit zu finden und nichts geschah, desto schwerer war es, an dem Glauben an Rettung festzuhalten.

 

Ihr Peiniger war im Nebenraum, er hatte eine ganze Weile nichts von sich hören lassen, aber der Mann konnte nicht genau sagen, wie lange. Andererseits war er auch froh darüber, denn wenn er nicht im Labor war, konnte er auch keine Experimente an ihnen durchführen. Das einzige, das ihm noch Aufschluss über die Dauer seines unfreiwilligen Aufenthalts hier gab, war der Bart, der begonnen hatte zu wachsen und bald schon auf der Stufe eines Vollbartes war. Doch er wollte die Hoffnung noch immer nicht aufgeben.

 

Nach einer ganzen Weile, vielleicht Stunden oder doch nur Minuten, versuchte er es erneut um eine Kontaktaufnahme mit seinem Leidensgenossen in der anderen Zelle. Er wusste genau, dass der andere ihn hören konnte, denn er vermochte genau zu hören, was in der Welt außerhalb seines Zylinders vor sich ging. Doch der andere blieb stumm, er konnte lediglich erkennen, dass sich das blinkende Licht des Halsbandes leicht bewegte, so als schwanke er vor und zurück. Vor einer Weile hatte er herausgefunden, dass es sich wahrscheinlich bei dem anderen um eine Frau handelte, doch er konnte sich nicht sicher sein, denn durch das dicke Glas wurde der Blick auf die Außenwelt verzerrt. Das blinkende Licht war das einzige, was er von ihr sehen konnte. Dies war nicht besonders viel, doch plötzlich gingen die Lichter des Labors an. Der Mann blinzelte, seine Augen mussten sich erst wieder an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen und seine Sicht bestand für kurze Zeit nur aus blinkenden Sternen. Dann gewöhnten sich seine Augen wieder an die Helligkeit, er fand es trotz der Umstände noch immer erstaunlich, überhaupt sehen zu können. Da seine Kräfte blockiert waren, bestand diese Möglichkeit jedoch und er brauchte nicht befürchten zu müssen, jemanden durch seine Mutantenkräfte, die er nicht ohne Hilfsmittel kontrollieren konnte, zu verletzen.

 

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Ihr Peiniger betrat das Labor. Er schien äußerst zufrieden mit sich zu sein, ein diabolisches Lächeln umspielte seine blassen Lippen. Er war hochgewachsen und hatte dunkles Haar, seine Augen funkelten in teuflischem rot, ein dunkler Spitzbart säumte das Kinn. Seine Zähne strahlten weiß und waren raubtierartig spitz, auf der Stirn zeigte sich ein rotes Karo, das auf der Spitze stand, seine Haut war unnatürlich blass. Er trug keinen Labormantel, sondern einen metallisch wirkende Körperpanzerung, über dem Brustteil waren rote Streifen, um die Schultern trug er einen langen Umhang. In einer Hand hielt er einen Datenblock, dessen Daten er in den Zentralcomputer des Labors übertrug.

 

Dr. Nathaniel Essex  arbeitete gerne in seinem Laboratorium, er zog dieses stets einem Büro oder ähnlichem vor. Hier war er inmitten seiner Arbeit und nur hier konnte er am besten nachdenken und planen. Wenn er den vertrauten Geruch der Chemikalien vernahm, den Geruch der Wissenschaft so sagte er sich, dann war er in seinem Himmel. Er war mit dem bisherigen Verlauf seines neuesten Experimentes äußerst zufrieden, der Abschluss dieses Projektes würde in Kürze bevorstehen und nun konnte er sich endlich wieder seinen anderen Arbeiten zuwenden. Er war in erster Linie Wissenschaftler, Genetiker und Mediziner um genau zu sein. Das war es, dessen er sein Leben gewidmet hatte und dieses dauerte schon ziemlich lange an. Essex hatte diese Zeit stets gut zu nutzen gewusst und seine Datenbank war immens. Sie beinhaltete die genetischen Codes jeder Spezies des Planeten, zusammen mit DNA-Proben von nahezu  jedem dieser Exemplare. Er studierte die genetische Struktur eines jeden Lebewesens um herauszufinden, was es zum ticken brachte. Doch seine wahre Passion galt den Mutanten. In seiner Datenbank, die größte genetische überhaupt, befanden sich die genetischen Codes unzähliger Mutanten und auch hier war er bemüht von jedem eine DNA-Probe zu erhalten. Sein Ziel war es unter anderem eine komplette Enzyklopädie über die Herkunft und Kräfte eines jeden einzelnen Mutanten den es auf der Welt gab zu erstellen, einem Ziel, dem er bereits unheimlich nahe war. Zudem glaubte er so Informationen über die Vererbung und Entstehung dieser besonderen Kräfte zu erhalten und er glaubte ebenso fest daran, durch die gezielte Kreuzung und genetische Manipulation eine neue Rasse von genetisch perfekten, mächtigen Mutanten zu erschaffen. Er konnte somit steuern, wer welche Kräfte erhielt. Diesem Ziel galten die meisten seiner Experimente und er führte sie stets mit größter Sorgfalt durch, denn sie dienten einem höheren Ziel. Essex wusste, dass für die Wissenschaft manchmal große Opfer gebracht werden mussten, er selbst hatte einen hohen Preis für seinen Ehrgeiz zahlen müssen, um seine heutigen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erlangen. Aber das endgültige Ziel war das einzige, das für ihn zählte, der Weg, den er hierfür gehen musste, war absolut irrelevant. Um Perfektion zu erlangen, und das war etwas, nach dem Essex strebte, musste man alles Unzulängliche auslöschen, ein Preis, den die unterirdisch lebenden Morlocks hatten zahlen müssen. Aber sie stellten eine Gefährdung für Essex’ Pläne dar, ihre Unreinheit und genetische Unordnung waren seinen Zielen abträglich, so mussten sie entfernt werden. Für Essex war dies nur eine Notwendigkeit gewesen. Er wandte sich seinen beiden Versuchsobjekten zu und fügte seinem mentalen Dossier neue Beobachtungen hinzu, wie sie auf ihre Situation reagierten.

 

Die Frau, Objekt #125 war zu schwach um noch größeren Widerstand zu leisten, ihr eigenes Selbst schon zerbrochen, doch der Mann, Objekt #128 leistete noch immer Widerstand, Essex wusste jedoch genau, dass auch dieser starke Wille bereits bröckelte. #128 hatte noch immer die Hoffnung gerettet zu werden, ein Umstand, der nicht eintreten würde. Niemand würde ihn hier finden, dafür hatte Essex gesorgt. Denn niemand würde ihn suchen, schon gar nicht hier. Essex hatte den besonderen Gesichtsausdruck, eine Mischung aus Furcht, Mut und Verzweiflung mit unermüdlicher Sturheit schon oft gesehen und sie alle wurden von ihm gebrochen. Es war stets eine erneute Herausforderung herauszufinden, welches der Auslöser für die einzelnen Exemplare sein würde. Doch bei diesem wusste er genau, welchen Punkt er treffen musste, bei #128 würde es nicht anders sein, als bei seinen Vorgängern.

 

Er trat vor die beiden Zellen und lächelte kalt. Der Mann hämmerte gegen das Glas, beschimpfte und verwünschte den Wissenschaftler, bat darum, herausgelassen zu werden, schrie ihn an. Doch Essex hatte etwas ganz anderes mit ihm vor. Er veränderte einige Einstellungen am Terminal, welches die Glaszylinder kontrollierte, worauf das Glas klarer wurde. So erreichte er, dass die Insassen einen besseren Blick auf das Labor erhielten. Er zog sich zu dem Schreibtisch zurück, wo er seinen Datenblock ablegte. Er hatte noch viel zu erledigen, die neuen Experimente wollten geplant werden und dann musste er noch die letzten Daten seines Experimentes im Nebenraum in neue Überlegungen mit einfließen lassen.

 

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Das Labor war nun gut beleuchtet, in der Mitte konnte man den Tisch nun besser sehen. Es war ein Untersuchungs- und Operationstisch, über ihm hing eine Neonlampe, die jeden Winkel des Tisches ausleuchten konnte, auch wenn er belegt sein sollte. Der Tisch war mit Gurten ausgestattet, die den Patienten an Händen, Füßen und Rumpf sichern würden. Die Neonlampen tauchten alles in ein irgendwie kaltes Licht. Daneben stand ein Instrumententisch, Essex war nochmals in die Mitte zurückgekehrt und polierte die Skalpelle, damit sie blitzten. Ein seliges Lächeln umspielte seine Lippen. Das Operationsbesteck blitzte und war für einen erneuten Einsatz bereitgelegt. Ein kurzer Blick auf die Wände zeigte die Größe und Menge der Computerterminals, die in Reih und Glied an der Wand standen. Der Blick von #128 jedoch blieb auf dem Tisch in der Mitte haften.

 

#125 hob den Kopf und blickte ebenfalls zur Mitte, doch sie blieb apathisch und zeigte keinerlei Regung. Das was dort zu sehen war, hatte sie schon zu oft gesehen, sei sie Essex’ Gast war. Es war nur ein weiterer Versuch, dem anderen in der Zelle neben ihn zu zeigen, dass es von hier kein Entkommen geben würde. Teilnahmslos legte sie die Stirn wieder auf die Knie. Sie wusste genau, dass neben ihr ein neues Versuchsobjekt Essex’ im Labor war, sie konnte ihn deutlich hören, doch sie wollte einfach nur dem Horror des Labors entfliehen und zog ihren Geist wieder tief in sich zurück. Auf dem Tisch in der Mitte war eine Person festgeschnallt, Essex letztes Experiment und #125 wusste, dass auch sie eines Tages ein ähnliches Schicksal erwarten würde. Dies war auch der wahre Grund für die vielen Versuche ihrem Leben ein schnelleres Ende zu bereiten, denn sie wollte lieber aus freien Stücken sterben als auf einem der Tische Essex’ zu enden.

 

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Die Person in der Mitte des Raumes lag reglos in den Fesseln, der Kopf in einer Halterung fixiert, damit er nicht zur Seite rollen würde. Auch er war unbekleidet, wie jedes von Essex’ Exemplaren. Er lag schon eine ganze Weile in der Mitte auf dem Tisch und würde der sterile Geruch von Desinfektionsmitteln und Chemikalien im Labor nicht jegliche anderen Gerüche übertönen, so hätten sie den beginnenden Verwesungsgeruch bereits früher bemerkt, der von der Person auf dem Tisch ausging. Sein Brustkorb war geöffnet und mehrere der inneren Organe entfernt worden. Sie befanden sich in Formaldehyd-Lösung schwimmend in großen Gläsern auf einem Beistelltisch. Die Ränder der Operationswunden waren mit getrocknetem Blut verkrustet, auf dem Tisch war ebenfalls unter dem Toten eine dunkelbraune ausgetrocknete Blutlache zu sehen. Die Haut der Leiche war kalkweiß und spannte über dem Skelett, die Haut des Bauchlappens mit Klammern beiseite gezogen, um dem Operateur einen besseren Blick auf das Innere zu ermöglichen. #128 spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte, er würgte und versuchte den Blick abzuwenden, doch die grauenhafte Szene hielt ihn gefangen. Die Augen des Toten waren geöffnet, mit Klammern gespreizt, damit er sich nicht hatte schließen können und blickten nun starr an die Decke. Er musste zum Zeitpunkt der Operation noch bei vollem Bewusstsein gewesen sein.

 

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 #128 fühlte, wie sich ihm der Magen umdrehte und er kämpfte gegen die Übelkeit, gegen das schwindlige Gefühl an, welches ihm nun seine Sinne überlud. Es gelang ihm die Augen zu schließen, doch vor seinem inneren Auge formte sich das Bild des Toten, in seiner Phantasie sah er das, was sich während der Operation abgespielt haben musste. Er konnte förmlich die Schreie hören, die Qualen, die er während dieser Tortur hatte erleiden müssen, mussten grauenvoll gewesen sein. #128 war froh, dass er nichts gegessen hatte, denn der Drang, sich übergeben zu müssen, blieb und er schluckte schwer.

 

Essex betrachtete zufrieden die Reaktion beider Objekte, studierte das Reagieren beider auf diesen unerwarteten Anblick und die Aussichten, die sich daraus für die Zukunft ergaben. Er wusste dass #125 nichts Neues gesehen hatte, er wusste, dass er ihren Willen bereits vollständig zerstört hatte, doch er war überrascht, keinerlei Regung mehr zu erkennen. Essex hatte nicht erwartet, Mitleid zu sehen, das hatte sie bereits hinter sich gelassen, aber eigentlich hatte er gedacht, sie zeigte Erleichterung und Freude für den anderen, der es wohl ihrer Meinung nach hinter sich hatte. Aus welchem Grund sonst hatte sie wohl die zahlreichen Selbstmordversuche verübt? Aber Essex konnte nicht zulassen, dass sie schon starb, denn er benötigte sie noch für zukünftige Pläne. Er hatte jedoch befriedigt festgestellt, dass #128 noch nicht den Willen und seine Gefühle verloren hatte, aber er wusste, es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch er zerbrechen würde. Essex bedauerte ebenfalls, dass sein letztes Experiment den Eingriff nicht überlebt hatte, war es doch unvorteilhaft für die nächste Testreihe. Aber es ließ sich nicht ändern und Essex konnte nur darauf reagieren, indem er die nächsten Versuche, die eigentlich für ihn geplant waren, an #128 durchführte. Das einzige, das er ändern musste, waren die Parameter, denn es handelte sich bei #128 zwar auch um einen Mutanten, verfügte er jedoch über völlig andere Kräfte. In Gedanken veränderte Essex bereits die Einstellungen und ein Lächeln breitete sich auf dem blassen Gesicht aus. Dieses Mal dürfte es keinerlei Schwierigkeiten geben, er wusste nun, woran das letzte Experiment gescheitert war.

 

Für Essex waren Rückschläge kein unbekanntes Erscheinen, in seiner langjährigen Laufbahn als Wissenschaftler hatte er bereits unzählige Misserfolge erlitten. Er wusste, dass sie zu seiner Arbeit dazugehörten und er nahm sie als lehrreiche Erfahrung. Jemand sagte einmal, dass der, welcher nicht aus seinen Fehlern lernte, dazu verdammt war, sie zu wiederholen. Essex mochte vielleicht verdammt sein, doch war er nicht dumm und er studierte jeden Fehlschlag ebenso genau wie seine Erfolge. Er würde keinesfalls einen Fehler zweimal geschehen lassen. In der jüngsten Vergangenheit hatten andere Angelegenheiten seine ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert und mit wehmütiger Mine erinnerte er sich daran, dass er seine anderen Experimente zugunsten dieses einen wichtigen zu lange ruhen mussten. Außerdem benötigte er dringend neues genetisches Material, denn seine Bibliothek war durch letzte misslungene Versuche auf dem Klonsektor und der genetischen Manipulation dezimiert worden. Seine jüngsten Kreuzungen genetischen Materials waren bedauerlicherweise nicht von Erfolg gekrönt gewesen, sie hatten nicht lange überlebt, doch dieses neueste Experiment schien vielversprechend zu verlaufen. Es lieferte ausgezeichnete Daten und würde ein Erfolg werden. Essex glaubte fest an das Überleben des Stärkeren und die natürliche Auslese, daran, dass die Mutanten die nächste Stufe der Evolution darstellten. Er war kurz davor, den Prozess zu entschlüsseln, der diese Mutationen auslöste und sein Traum war es, diese Evolution steuern zu können, eine neue Spezies nach seinem Bild zu kreieren. Eine neue Spezies, die perfekt war, angepasst an ihre Umgebung und überaus mächtig. Er wollte eine neue Rasse von Mutanten erschaffen, ohne genetische Missbildungen und fehlerhafte Entwicklungen. Essex würde selbst der Schöpfer dieser neuen Spezies sein, der Urvater einer nächsten mächtigeren Generation und er sah sich durch dieses Experiment seinem Ziel ein gewaltiges Stück nähergekommen. Durch das gezielte Ausmerzen von genetisch ungeeigneten und fehlerhaften Exemplaren hatte er zu seinem Ziel beigetragen, doch er konnte durch diese äußeren Einflüsse nur einen Teilschritt des ganzen bewerkstelligen. Dennoch plante er bereits zukünftige Säuberungsaktionen, die er von seinen Helfern durchführen lassen konnte.

 

Für die Wissenschaft musste man Opfer bringen, das war sein Motto und Essex opferte seinem Traum alles. Die Perfektion war sein Glauben, sein Leben und alle, die den hohen Idealen Essex’ nicht entsprachen, mussten entfernt werden. Essex sah darin keinesfalls Mord, es war lediglich die Notwendigkeit der Tat, welche die Tat als solches rechtfertigte.

 

Nathaniel Essex bereute nichts in seinem Leben, bis auf die Tatsache, dass er seine Ziele noch nicht hatte erreichen können, doch als Wissenschaftler war ihm durchaus bewusst, dass sich manche Dinge und Reaktionen einfach nicht beschleunigen ließen. Wenn dies bedeutete noch weitere hundert Jahre bis zum Erreichen seiner Ziele zu warten, so würde er sich ohne zu zögern in Geduld fassen und dies hinnehmen. Er konnte die Zeit immer noch anderweitig nutzen.

 

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 #128 beobachtete ihn seinerseits. Er versuchte den Anblick der Leiche auf dem Tisch aus seinen Gedanken zu verbannen und das Gefühl der Übelkeit unter Kontrolle zu bekommen, doch es gelang ihm nicht ganz. Er realisierte nun, dass auch er eines Tages auf diesem Tisch enden würde, wenn er nicht gerettet würde. Auch wenn er die Hoffnung noch nicht aufgeben wollte, so musste er dennoch zugeben, dass sie mit jedem Tag, der verstrich schwand. Diese Erfahrung eben hatte ihm erst wirklich bewusst gemacht, dass es kein Entkommen von hier gab, wenn ihn seine Freunde nicht retten würden. #128 fragte sich, was für ein Mensch Essex wirklich war, nein er war sich nicht mehr sicher, ob Essex überhaupt noch ein Mensch war. Kein Mensch würde tun, was Essex getan hatte und noch immer tat. Für #128 war es unbegreiflich, wie jemand, der über eine Seele und ein Gewissen verfügte, tun konnte was Essex tat und keinerlei Bedauern über sein Schaffen empfand. Es war fast, als habe er Freude an seiner abscheulichen Arbeit und das ließ #128 einen kalten Schauer über den Rücken gleiten. Diese Person war nicht menschlich, sie konnte es nicht sein. Essex musste das pure Böse sein, denn nach allem, was er von ihm gehört hatte, von ihm wusste und nun mit eigenen Augen gesehen hatte, seit er Essex’ Gast war, ließ keinen anderen Schluss zu. All die grauenhaften Dinge, die man über ihn sagte und von ihm wusste waren wahr. Essex war ein eiskaltes Monster, der an lebenden Personen unsagbare Experimente durchführte, zum Wohle der Menschheit vermutlich oder womit er es sonst rechtfertigte. Mochte dieses Ziel wohl edel sein, so rechtfertigte es dennoch nicht seine Methoden. Essex klonte und züchtete Mutanten in seinem Labor, nur zu Versuchszwecken und um sie seiner Meinung nach perfekter zu schaffen, nach seinem Willen zu formen, zu gestalten und neu zu erschaffen, manche nur um eine weitere Umwandlung über sich ergehen lassen zu müssen. #128 erschauderte bei dem Gedanken, dass auch er nur eines von Essex Experimenten war und sein würde. Er tötete im Namen der Wissenschaft und empfand keinerlei Reue dabei, niemand hatte ihn bislang stoppen können. Niemand hatte es je geschafft, den Wahnsinn zu stoppen, den Essex erschuf und heraufbeschwor.

 

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Nathaniel Essex fühlte den Blick von #128 auf sich ruhen, wusste genau, was er von ihm hielt und dachte, der angewiderte, hasserfüllte Blick der hellen Augen verriet seine Gefühle und #128 machte keinen Hehl aus ihnen. Essex lächelte milde, dieser Blick war ihm nicht fremd. Er war sich seines Rufes durchaus bewusst, doch er verstand die Menschen nicht.

 

Konnten sie nicht sehen, was er zu erreichen versuchte? Warum konnten sie nicht verstehen?

 

Die Wissenschaft diktierte absolute Ergebenheit der Sache und Aufgabe, die Erkenntnisse durften nicht ignoriert werden, die Evolution nicht verneint. Mutanten waren nun einmal diese nächste Stufe der Evolution und so wie der homo sapiens seinen Vorgänger verdrängte, so war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der homo superior diesem Naturgesetz folgte, die Stufe danach würde der Perfektion näher kommen als alles andere zuvor, sie musste nur dieses Mal gezielt ausgelöst werden. Man konnte keine Ergebnisse erhalten, wenn man ständig theoretisierte, man musste auch die Praxis erproben. Kein Forscher würde ihm hier widersprechen können, denn kein Medikament oder Kosmetikum kam ohne vorhergehende Tests auf dem Markt, keine medizinischen neuen Verfahren entwickelten sich von selbst. Sie wurden alle einmal ihr erstes Mal erfolgreich erprobt, und allen gingen zahlreiche Misserfolge voraus, bevor sie sich zu neuen Standards der Wissenschaft und Forschung entwickelten. Jeder dieser Wissenschaftler war verteufelt worden und als Ketzer verschrien, bis sich die Tauglichkeit und der praktische Nutzen ihrer Erkenntnisse zeigten. Kein Wissenschaftler weinte einer Laborratte, die bei einer der Testreihen starb eine Träne nach, manche wurden sogar extra für diesen Zweck gezüchtet. Diese Laborratten dienten einem höheren Zweck, ebenso wie Essex’. Er würde den Körper vom Tisch entfernen lassen, diesen Platz benötigte er später noch für etwas anderes.

 

Essex war ebenfalls in erster Linie Forscher und sah sich als einen weiteren Vorreiter, der sich in die Reihe anderer großer Mediziner und Wissenschaftler einreihen würde, sobald man nur verstand und vor allem anerkannte, was er tat und wofür er all seine Anstrengungen unternahm. Indem er den neuen Schritt in der Evolution einleitete, konnte er ihn auch kontrollieren, beliebig steuern und nicht von ihm kontrolliert oder gesteuert werden. Er selbst hatte seinerzeit das größte Opfer gebracht, seine Familie, und er verlangte von anderen nicht weniger. Theorien wollten bewiesen werden und Essex wäre nicht der exzellente Wissenschaftler, für den er sich hielt, wenn er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen in Intellekt und Technik nutzen würde. Dieses neueste Experiment würde seine größte Schöpfung werden, es würde allen den Beweis liefern, dass seine Theorien und vor allem sein Weg der einzig richtige waren. Wo gehobelt wurde, da fielen auch Späne, dachte er bei sich, als er mit einem letzten klinisch prüfenden Blick den Operationstisch ins Nebenzimmer rollte.

 

Als er zurückkam, war der Tisch leer, die braunen Flecken getrockneten Blutes jedoch noch zu sehen. Er trat an das Terminal und veränderte die Einstellungen erneut, worauf sich die Glaszylinder trübten.

 

#128 fühlte Panik in sich aufsteigen, er wusste nicht, was ihn erwarten würde, doch er hatte eine allzu lebendige Vorstellung davon. Er spürte, dass er immer schwerer atmen konnte, grünes Gas stieg von unten auf. Panisch und verzweifelt hieb er gegen das Glas, versuchte sich zu wehren, doch die Anstrengungen und der Sauerstoffmangel ließen seine Sicht verschwimmen. Instinktiv versuchte er sich einen Weg aus dem Zylinder zu verschaffen, indem er seine Kräfte einsetzte, doch das Halsband verhinderte deren Gebrauch. Angsterfüllt erkannte er, dass es für ihn kein Entkommen mehr geben würde, er dachte an alle, die ihm etwas bedeuteten und daran, dass er sie niemals wieder sehen würde. Das waren die letzten Gedanken, bevor sich seine Sinne in Dunkelheit verloren.

 

#125 reagierte kaum auf das Gas, sie ließ es einfach geschehen. Ihren Geist hatte sie so weit in sich zurückgezogen, dass sie kaum noch etwas von dem mitbekam, was um sie herum geschah. Sie war in ihren schönen Erinnerungen versunken und saß lediglich apathisch am Boden ihrer Zelle als auch sie von Dunkelheit empfangen wurde.

 

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#128 wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, doch seine Sinne kehrten langsam wieder in die Realität zurück. Schmerzhaft hob er die Lider und kniff sie gleich wieder zusammen, als ein stechender Schmerz seinen Schädel durchfuhr. Seine Gliedmaßen waren bleischwer und er konnte sich kaum bewegen. Das erste was er bemerkte, war die Tatsache, dass er allein war das zweite waren die Fesseln and Hand- und Fußgelenken, die ihn auf dem Tisch fixiert hielten. Er konnte jedoch noch den Kopf drehen. Er fühlte sich schwindlig und wagte nicht zu vermuten, was ihm dieses Monster angetan hatte. Er war wohl in einem der Nebenräume auf einem dieser Operationstische, sonst konnte er nur erkennen, dass an der gegenüberliegenden Wand ein diffuses Leuchten aus irgendeiner aufgestellten großen Röhre kam. #128 vermochte jedoch nicht zu sagen, was sich in dieser Röhre befand oder was sonst noch in dem Raum war. Als er den Kopf auf die Seite drehte, bemerkte er, dass seine erste Feststellung falsch war. Er war nicht allein, doch wäre er es lieber gewesen. Auf einem identischen Tisch neben ihm lag eine Person, ihre roten Haare ließen die Vermutung zu, dass es sich um seine Mitgefangene handelte, mehr hatte er von ihr nie gesehen. Doch sie kam ihm vertraut vor, jetzt, da er sie ohne die Glaswand sehen konnte und das stellte ihm die Nackenhaare auf. Auch sie war gefesselt, ihr Kopf war auf die Seite gerollt, doch er konnte nicht glauben, was er sah, wollte es nicht glauben. Ihr Brustkorb und Unterleib waren geöffnet worden, die Rippen von Spreizzangen auseinander gehalten.

 

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Sie war still, ihre grünen Augen leer und starr, der Blick schien auf ihn gerichtet zu sein. Er war nicht flehentlich, denn sie hatte nun, was sie sich immer gewünscht hatte, Frieden und Freiheit vor Essex. Sie hatte es nun endlich hinter sich. Dennoch war der Hauch von Horror zu erkennen, denn mit ihrem letzten Blick hatte sie ihn erkannt und all ihre Erlebnisse seit ihrer Gefangenschaft spielten sich vor ihrem inneren Auge ein letztes Mal ab, wohlwissend, dass auch er nun erdulden musste, was Essex ihr angetan hatte. Sie hatte so gehofft, seine Stimme nur eingebildet zu haben, denn nach der langen Zeit in dem Glaszylinder wusste sie nicht mehr, was die Wirklichkeit war, doch ihn neben ihr liegen zu sehen, brach sie vollständig, Ihre letzten Gedanken galten ihm, sie hoffte inständig, dass ihm erspart bleiben würde, sie hier zu sehen, zu erleiden, was sie durchlitten hatte und nun erlebte. Sie fühlte sich leerer als zuvor, sie hatte sterben wollen, damit er niemals erfahren würde, was Essex getan hatte und sie hätte dies freudig getan, in dem Wissen, dass er sicher war. Ihre letzten Worte waren für ihn gewesen, sie konnte nur so mit ihm sprechen, da ihre Kräfte durch das Halsband gedämmt waren. Sie verhallten ungehört und sie hoffte nur, dass er wusste, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Ihr Tod war zwar schmerzlos gewesen, doch nicht leicht, denn ihr Mann würde ihr Schicksal teilen, ein Experiment und weiteres Opfer Essex’ von unzähligen davor und danach zu werden.

 

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#128 wandte den Blick ab, seine Augen füllten sich mit Tränen und sein Herz, seine Seele brach. Sie so zu sehen war zuviel für ihn, er schluchzte laut und sein Magen, sein Innerstes krampfte sich zusammen. Sie war seine erste und einzige Liebe gewesen, sein Leben und nun hatte er nichts mehr, für das es sich zu leben lohnte. Sie war fort, dieses Mal für immer. Nur für sie hatte er noch weiter gemacht, niemals aufgehört zu hoffen, nach ihr zu suchen und nun war alles leer. Er konnte nicht mehr, konnte den Schmerz und die Trauer nicht länger zurückhalten. Er schrie seinen Zorn und Schmerz in den Keller, die Dunkelheit, alles was blieb war die unendliche Leere in seinem Innersten. Essex hatte ihm alles genommen, was ihm in seinem Leben etwas bedeutete, doch er hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Er hatte den Willen zu kämpfen verloren.

 

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Essex trat aus dem Schatten hervor, befriedigt betrachtete er sein Werk mit klinischem Interesse. Obgleich er stets großes Interesse and beiden bekundet hatte, so schmerzte es ihn nicht so sehr, dass sie tot war, den ihr Tod diente seinem Zweck, einem Zweck der über jegliches Mitgefühl und Schuld erhaben war. So wie er auch. Sie war nur ein weiteres Opfer, das gebracht werden musste, nur ein weiteres Testobjekt, welches seiner Bestimmung gemäß verwand worden war. Er ignorierte den trauernden Mann auf dem Tisch, seine Schreie und Beschimpfungen, die unter den Tränen erstickten. Stattdessen wandte er sich dem großen Glastank zu, der hinter ihm stand.

 

Der Tank war mit einer Nährflüssigkeit gefüllt, mattes Licht erleuchtete das Innere und unzählige Schläuche gingen von dem Tank aus. Er war mit zahlreichen Elektroden versehen und über Kabel mit einem der Terminals an der Wand verbunden, das die Messdaten aufzeichnete und überwachte. Hier waren alle Daten gespeichert und abrufbar, die während dem Experiment eingegangen waren, die von dem Tank und seinem Inhalt ausgingen. In dem Tank befand sich eine Person, sie hatte dunkles Haar, doch die genaue Farbe war in dem diffusen Licht nicht zu erkennen, seine Augen waren geschlossen. Mund und Nase waren mit einer Maske bedeckt, die ihm mit Sauerstoff versorgte.

 

Essex betrachte nicht ohne gewissen Stolz den Tank, denn er enthielt seine größte Kreation, seine größte Schöpfung. Bald konnte er die Früchte seiner Arbeit ernten und auf diesen Moment war er besonders gespannt, Dieses, sein vollkommenstes Werk, würde der erste Schritt seiner Pläne sein, es hatte viel Zeit und Mühen gekostet, doch es würde sich auszahlen. Essex hatte jeden Fehler, jedes ungenügende noch so kleine Detail ausgemerzt, diese Schöpfung hatte keine Unzulänglichkeiten. Sie war perfekt, was er so lange vergeblich versucht hatte, war ihm nun endlich gelungen, diese spezielle Kombination der Gene erfolgreich gewesen. Er hatte es geschafft, die Gene ganz besonderer Individuen, eingeschlossen #125 und #128, zu einem mächtigen Mutanten zu verbinden und es brannte Essex in den Fingerspitzen zu erfahren, wie er sich entwickeln würde. Alles, wofür er jemals gearbeitet hatte, sollte sich nun auszahlen, das Ziel war in greifbare Nähe gerückt. All die gebrachten Opfer waren nicht vergebens gewesen, sein Opfer nicht vergebens gebracht. Essex war äußerst zufrieden mit sich, denn bis er seine Kreation aus dem Tank lassen konnte, war es nicht mehr lange. Er hatte noch genügend Zeit sich #128 zuzuwenden. Essex wusste, dass es töricht wäre, wenn man das Ziel förmlich greifen konnte, alles andere stehen zu lassen. Er sah darin lediglich eine Verschwendung von Ressourcen und Material, etwas das er verabscheute. Essex nahm sich eines der Skalpelle vom Tisch und wandte sich um.

 

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 #128 sah ihm hasserfüllt in die Augen und Essex wusste, was er dort sehen würde, den Teufel in Menschengestalt. Essex lächelte nur milde darüber, er sah in sich viel mehr einen Visionär, jemanden, der bereit war, alles für seine Ideale zu geben und zu tun. Wenn ihn das zu einem Teufel machte, so sei es drum, doch er fand sich schon immer missverstanden. All die anderen Forscher, die als Teufel und Monster angeprangert wurden, waren seiner Meinung nach lediglich missverstanden worden. Wären nicht ihre Experimente gewesen, so wäre man heute um viele wertvolle Erkenntnisse in Medizin und auch auf anderen Bereichen ärmer. Dies war etwas, das man auch nicht vergessen durfte, wenn man den Teufel beschreien wollte. Essex fand es schon immer herrlich ironisch und zweischneidig, wenn man die Männer, die solche Experimente durchführten als Monster und eiskalte Mörder betitelte, ihre Forschungsergebnisse jedoch bedenkenlos übernahm und anerkannte, sogar nutzte um bedeutende Erkenntnisse zu erlangen.

 

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#128 zerrte an seinen Fesseln, er versuchte zu entkommen, doch auch das war vergebens, denn die Metallspangen, die seine Hände und Füße auf dem Tisch fixiert hielten, waren aus einer unzerstörbaren und äußerst widerstandsfähigen Legierung gefertigt.

 

Essex wusste, dass #128 ihn gerne umbringen würde, egal welchen edlen Idealen er zuvor noch gefolgt war und er nahm dies zufrieden zur Kenntnis. #128 konnte ihn nicht töten, denn seine Fähigkeiten wurden durch das Halsband blockiert und dies wäre in seiner Position die einzige Möglichkeit gewesen, dies zu tun.

 

Das erste Mal, das er seine Frau mit eigenen Augen gesehen hatte, ohne die Brille um seine Kräfte unter Kontrolle zu halten, und sie in seine Augen blicken konnte, dies war ihre letzte Erinnerung an ihn, seine wunderschönen hellen Augen, die tödlich sein konnten und doch so voller Liebe für sie, war etwas, das er gerne für ewige Blindheit eintauschen würde, wenn es bedeutete, den Anblick ihres toten ausgemergelten Körpers vergessen zu können.

 

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#128 sackte auf den Tisch zurück, er konnte nicht entkommen, konnte Essex nicht entkommen. Es war unmöglich für ihn sich zu wehren, er war machtlos, seine Gedanken ertranken in unendlicher Trauer und entsetzlicher Leere. Sein Innerstes war tot, sein Herz leer, sein Verstand zog sich an einen Ort im hintersten Winkel seines Selbst zurück, dort wo Essex und der Horror des Labors ihm nicht folgen konnten. Ein Winkel an dem er glücklich war, wo seine Frau noch lebte und ihre Liebe ihn wärmte. Unbewusst schauderte er, sein Körper war kalt ebenso wie seine Seele in Trauer erkaltet.

 

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Essex lachte diabolisch, er hatte sich nicht lange aufgehalten, denn er wusste genau, was #128 brechen würde. Und das hatte er vollbracht. Oh, #128 würde noch sehr nützlich für ihn sein. Der Mann auf dem Tisch spürte, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen, als er seine Hilflosigkeit endgültig erkannte. Es war das letzte, das er fühlte, der Schmerz über den Verlust seiner Frau übermannte den Körper, und obwohl er sich in den hintersten Winkel seines Verstandes zurückgezogen hatte, so wusste er doch, dass niemals alles so sein würde wie zuvor. Essex hatte ihm nicht nur sein Leben und seine Frau genommen, den Willen zu leben, seine Kraft um weiterkämpfen zu können, er hatte ihm mit ihr seine Seele geraubt und sein Schmerz ließ ihn selbst an diesem schönen Ort in seiner Vorstellung keinen Frieden finden. Er hoffte, dass auch er bald sterben würde, dann wäre er mit ihr vereint und frei.

 

Essex lächelte nur noch breiter, er hatte noch viel mit #128 vor, mit ihm und dem Mutanten in dem Glastank. Seine Pläne waren weitgreifend und seine Ziele zwar greifbar, aber dennoch nicht erreicht. Es gab noch so viel zu erforschen und sein ruheloser Verstand sehnte sich bereits die nächste Herausforderung herbei. Die Forschung erforderte bedingungslose Hingabe, die Bereitschaft neues zu entdecken und zu erproben und vor allem niemals aufzuhören, nach Antworten auf Fragen zu suchen, die man noch nicht gestellt hat, hier war lediglich ein neuer Anfang. Essex widmete sein Leben der Wissenschaft und diesen Idealen. Die Notwendigkeit der Dinge ließ ihn Dinge tun, die sich andere nicht einmal vorstellen konnten und er war stolz auf sich und seine Entschlossenheit. Alles in allem unterschied er sich dadurch nicht sehr von all den anderen Menschen, die nach neuem strebten, der Entdeckung neuer Möglichkeiten. Auch seine Methoden unterschieden sich nicht sonderlich von den ihren, es waren lediglich die Maßstäbe, die man setzte, die einen Unterschied hervorriefen. Jeder, der an die Richtigkeit seiner Sache und Methoden glaubte, war noch lange nicht böse, es war das, was ihn vorantrieb, seinen Idealen zu folgen, seinem Glauben, seinem Traum.

 

Auch Nathaniel Essex hatte seinen Glauben, seine Ideale und er glaubte fest an das, was er tat. In den Augen der einen war er dadurch ein Monster, in denen der anderen jemand, der nach seinen Überzeugungen handelte. Wenn ihn dies zu einem Monster machte, so war er eines, wenn es ihn stattdessen zu einem Idealisten werden ließ, so war er auch dies. Für ihn selbst war er einfach nur wer er war, er tat, was er tun musste und was seinen Vorstellungen entsprach. Er war ebenso wenig ein kaltblütiges Monster wie all die anderen  Forscher vor ihm, genauso wie er eben das Monster war, das diese Forscher vor ihm auch schon gewesen waren.

 

Er betrachtete sich nicht als mehr oder weniger böse als die, welche vor ihm waren oder ihm folgen würden.

 

Das Böse war seiner Meinung nach eine reine Frage der Betrachtung, jeder sah darin etwas, das er sehen wollte, sah es in wem er es sehen wollte.

 

~fin~

 

Anmerkungen: Nachdem man die Geschichte nun gelesen hat, wollte ich nur noch hinzufügen, dass es unwichtig ist, ob ich mit Sinister’s Methoden übereinstimme oder nicht. Ich wollte lediglich aufzeigen, dass wir unterschiedliche Maßstäbe ansetzen, wenn wir Menschen betrachten oder sie beurteilen. In manchen Fällen mögen wir selbst nicht besser sein als die Menschen, die wir als böse ansehen oder verachten, weil wir deren Methoden ohne zu zögern nutzen, wenn sie unseren Bedürfnissen passend erscheinen und ihre Forschungsergebnisse verwenden, um bessere medizinische Behandlungsmethoden oder neue Medikamente zu entwickeln.